![]() | |||||||||||||||||
|
Startseite >
Deutsch >
Unsere Aktionen >
Offener Brief vom 22. April 2009 an Frau CHAN, Generaldirektorin der WHO | |||||||||||||||||
![]() Die Mahnwachenden der 213. Woche vor der WHO |
Dieser Brief unseres Kollektivs wurde anlässlich der Pressekonferenz am 22. April 2009 in Paris im Büro von France Libertés/Stiftung Danielle Mitterrand veröffentlicht. (Laden Sie den Brief an Frau Chan herunter
Ziel Ihrer Organisation, so wie in Artikel 1 ihrer Verfassung niedergelegt, ist es, „allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen. Dazu definiert Artikel 2 die Aufgaben der WHO, die vor allem darin bestehen, „als leitende und koordinierende Autorität im internationalen Gesundheitsbereich zu fungieren und „unter allen Völkern eine informierte öffentliche Meinung in Gesundheitsangelegenheit entwickeln zu helfen. Das Kollektiv „Independent WHO richtet diesen Brief an Sie, um Sie an diese grundlegenden Verpflichtungen zu erinnern. Er ist geschrieben im Namen aller Opfer radioaktiver Strahlung und ganz speziell derjenigen des Unfalls in Tschernobyl, insbesondere der Liquidatoren”, der BewohnerInnen der kontaminierten Gebiete und der dort lebenden Kinder sowie nachfolgender Generationen. Wie bereits in unseren Schreiben vom 24. März 2007 und vom 22. Dezember 2008 festgestellt, verbietet das am 28. Mai 1959 unterzeichnete Abkommen WHA 12-40 zwischen der WHO und der IAEO der internationalen Gesundheitsbehörde, Aktivitäten zu unternehmen, die den Interessen der IAEO zuwider laufen. Dadurch verliert die WHO ihre Freiheit und ihre Autorität, als Kontroll- und Koordinationsstelle zu agieren in allen die radioaktive Strahlung und die Gesundheit betreffenden Angelegenheiten. Diese Unterschrift läuft den in der Verfassung der WHO niedergelegten Zielen zuwider. Anfang 1990 war die WHO vom sowjetischen Gesundheitsministerium eingeladen worden, ein internationales Hilfsprogramm einzurichten. Aus einem chronologischen Memorandum, das von Dr. Nakajima (damaliger WHO Generaldirektor) während der von ihm vom 20. – 23. November 1995 einberufenen Konferenz verfasst wurde, geht hervor, dass das internationale Projekt von der IAEO im Mai 1991 durchgeführt und beendet wurde. Es war also die IAEO und nicht die WHO, die die vom Gesundheitsministerium der UdSSR verlangten Informationen und andere Hilfsleistungen lieferte. Weiterhin wurden die Protokolle dieser Konferenz über die Gesundheitsfolgen von Tschernobyl zensiert. Dr. Nakajima sprach im Juni 2001 (1) über diese Zensur in einem Dokumentarfilm des Italienisch-Schweizerischen Fernsehens und führte die Zensur auf die rechtlichen Bindungen zwischen WHO und IEAO zurück. Soweit wir wissen, wurden diese Protokolle bis heute nicht veröffentlicht. Um die WHO an ihre Verpflichtungen zu erinnern, protestiert unser Kollektiv seit dem 26. April 2007 gewaltfrei jeden Arbeitstag von 8 bis 18 Uhr. Am Eingang des WHO-Hauptsitzes in Genf halten die Protestierenden eine stille Mahnwache, um die Unabhängigkeit der WHO zu verlangen, auf dass die Wahrheit über die Gesundheitsfolgen des Unfalls in Tschernobyl ans Licht gelangen möge. Zusammen mit der IAEO behauptet die WHO weiterhin, dass die Katastrophe von Tschernobyl etwa 50 Tote und 4.000 Schilddrüsenkrebserkrankungen zur Folge hatte. Die letzten Zahlen stammen vom 5. September 2005 (2). Angesichts Ihres hohen Grades an Verantwortung, halten wir die Leugnung aller anderen Opfer - ob in der Vergangenheit, Gegenwart oder in der Zukunft - für unannehmbar. Sicherlich ist Ihnen klar, dass Ihre Position zu Kritik Anlass gibt, insbesondere angesichts der jüngsten Erklärungen anerkannter Autoritäten innerhalb der UN, zu der die WHO ja auch gehört. Während seiner 54. Sitzung (29. Mai – 6. Juni 2006) und in seinem Bericht über « Non targeted and delayed effects of exposure to ionizing radiation » ( § C 29 à 33 ), stellte UNSCEAR (Wissenschaftliches Komitee der Vereinten Nationen zu den Wirkungen der Atomstrahlung) tatsächlich ein Dogma” auf dem Gebiet des Strahlenschutzes lebender Organismen in Frage. Am 15. September 2006 fasste das IRSN (Institut für Strahlenschutz und atomare Sicherheit) den UNSCEAR-Bericht zusammen und gab zu, dass: Nicht zielgerichtete Effekte (Effekte mit verschiedenen Mechanismen) haben ein gemeinsames Charakteristikum: sie haben nichts zu tun mit Energieablagerungen im Zellkern, was bis in jüngster Zeit hinein ein zentrales Dogma der traditionellen Radiobiologie war. Daraus lässt sich ableiten, dass die karzinogene Wirkung auf irgendeine Weise mit den mutagenen und klassischen Potentialen in Zusammenhang steht.” Mit anderen Worten: niedrige Dosen können pathogene Wirkungen haben. In welcher Weise hat die WHO die Erkenntnisse dieser Spezialagentur der Vereinten Nationen umgesetzt? Ausführliche Unterlagen zu diesen Fragen können den zwei beigefügten Büchern entnommen werden: „Le Crime de Tchernobyl von Wladimir Tchertkoff, erschienen bei Actes Sud, 2006 sowie Auszüge aus „Tchernobyl, conséquences de la catastrophe pour l’homme et la nature »(3) von A. Jablokov, V. and A. Nesterenko, St. Petersburg, herausgegeben von Naouka 2007. Die in diesen beiden Büchern enthaltenen Forschungsergebnisse, bibliographischen Referenzen, Erfahrungen, Analysen, Feststellungen und Aussagen bestätigen ganz klar die oben genannten Schlussfolgerungen von UNSCEAR bezüglich der niedrigen Dosen. In den 1930er Jahren warnten „Whistleblowers, dass chemische Substanzen, und insbesondere PCB (polychlorierte Biphenyle) für Menschen giftig sein könnten. Erst die 3. Ministerkonferenz zu Umwelt und Gesundheit, die von der WHO im Jahr 1999 organisiert wurde, machte auf die Gefährdung von Kindern durch diese synthetischen Materialien aufmerksam. Während der Konferenz wies die WHO auf den Besorgnis erregenden Mangel an Daten hinsichtlich der Giftigkeit chemischer Substanzen hin, die während der vergangenen 50 Jahre vermarktet worden waren. Diese verspätete Intervention der WHO ist mit ein Grund, dass wir heute unseren Kindern eine Ansammlung von Giften als Erbe hinterlassen. Die andere, in diesem Falle radioaktive, Hinterlassenschaft, die wir infolge des Abkommens von 1959 weiterreichen, kann teilweise wenigstens noch korrigiert werden, vorausgesetzt dieses Abkommen wird revidiert und Sie als Leiterin der WHO sorgen dafür, dass diese ihre Unabhängigkeit erlangt. Die Unterordnung der internationalen Gesundheitsbehörde unter die internationale Atomenergieorganisation in einem so wichtigen und kritischen Bereich, wie es ionisierende Strahlung und Gesundheit darstellen, gefährdet die Menschheit. Der „Negationismus in Sachen Atomenergie der WHO, der dazu tendiert, sowohl die wissenschaftliche Evidenz krankmachender Effekte ionisierender Strahlung auf Lebewesen (insbesondere die Wirkung niedriger Dosen) zu leugnen als auch sämtliche Gesundheitsschäden der Bevölkerungen durch künstliche Strahlung nicht anzuerkennen, muss öffentlich gemacht werden. Wir möchten Sie auch über gewisse juristische Implikationen informieren und dass Sie sich, wie vor allem schon in den USA bei Gerichtsverfahren in Zusammenhang mit den Asbest-Klagen geschehen, wo aufgrund eines Bündels von Vermutungen, die Beweiskraft haben, und noch verstärkt durch das Prinzip der Verantwortungsvermutung, das anerkennt, dass eine systematische Verbindung zwischen bestimmten Pathologien und der Exposition gegenüber radioaktiven Substanzen besteht, der Anklage eines „Verbrechens aus Gleichgültigkeit aussetzen könnten. In juristischen Kreisen spricht man auch vom Begriff eines „generationsübergreifenden Verbrechens, insbesondere im Zusammenhang mit durch Strahlung verursachten Krankheiten. Die gegenwärtige Rechtssprechung lehrt auch, dass Entscheidungsträger, die nicht mit der Absicht gehandelt haben, zu töten oder anderen Leiden zuzufügen, diese strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, da schon allein die Tatsache genügt, dass sie ganz oder teilweise um die Konsequenzen ihres Handelns wussten und die Opfer ihrem Schicksal überließen. Überdies verpflichtet Sie das Prinzip der Vorsorge, Entscheidungen im Hinblick auf schwere gesundheitliche Gefahren – vor allem epidemiologische Gefahren in Verbindung mit Niedrigstrahlung – zu treffen, selbst wenn es keinen formellen Beweis dafür gibt. Ihr „Negationismus in Sachen Atomenergie ist also in mehrfacher Hinsicht strafbar: absichtliche tödliche Gefährdung von Menschen, Totschlag und schwerer Angriff auf die physische und psychische Unversehrtheit, strafbare Unterlassung, unterlassene Hilfeleistung usw Wir sind uns der Macht der Atomlobby und ihres wirtschaftlichen und politischen Gewichtes sowie der Unterstützung durch die höchsten Autoritäten unserer Welt bewusst. Wir meinen, dass die WHO zum Zahnrad im Getriebe eines Systems geworden ist, das geschaffen wurde, um sich vor einer eventuellen Anklage und der Verantwortung hinsichtlich der gesundheitlichen Folgen im Zusammenhang mit einem atomaren Unfall zu schützen. Es handelt sich dabei um ein Zahnrad, das sich zum Komplizen macht für ein organisiertes und nicht zu tolerierendes System der Straflosigkeit. Infolge der Haltung der WHO - die leitende und koordinierende Autorität in Sachen Weltgesundheit - ist die nationale und internationale Gesundheitspolitik bei atomaren Unfall- und Störfallfolgen, und insbesondere bei der Katastrophe von Tschernobyl, gekennzeichnet durch mangelnde Anpassungsfähigkeit oder auch Unbeweglichkeit sowie durch schuldhaftes Stillschweigen anstatt ihrer der Pflicht zur Information betroffener Bevölkerungen nachzukommen. Die Beschädigung des menschlichen Erbgutes und das anderer Lebewesen im Allgemeinen sollte Ihr Gewissen als Ärztin, die Sie den Eid des Hippokrates geschworen haben, wach rütteln. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auch darauf aufmerksam machen, dass in den wichtigsten Gerichtsverfahren zu fahrlässigem Handeln durch Industrieunternehmen oder Regierungen (Bhopal, verunreinigte Blutkonserven, Giftabfälle usw.) nicht nur die Organisation oder das Unternehmen beschuldigt wurden, sondern dass auch physische Personen und Verantwortungsträger, die in diese Affären involviert waren, angeklagt wurden. Vor allem seit dem Tschernobylunfall, sehr geehrte Frau Dr. Chan, werden Kinder jetzt und in Zukunft schon als Opfer der Radioaktivität geboren. Unsere Aktion ist Teil des Urteils, das zukünftige Generationen über Sie als Generaldirektorin einer Weltgesundheitsorganisation fällen werden, die im Bereich der Radioaktivität die grundlegenden Pflichten, wie sie in ihrer Verfassung niedergelegt sind, nicht eingehalten hat. Darum wiederholen wir nochmals unsere Bitte, das Abkommen vom 28. Mai 1959 zu revidieren und die Bedingungen zu überprüfen, die es der WHO gestatten mögen, ihre Unabhängigkeit wieder zu erlangen. In der Erwartung Ihrer Bereitschaft zu einem offenen Dialog und einer Antwort auf unsere Bitte um ein Gespräch vom 16. Februar 2009, verbleiben wir mit freundlichen Grüssen,
(1) “Sie müssen wissen, dass die IAEO direkt dem UN-Sicherheitsrat unterstellt ist. Und wir anderen, alle die Sonderorganisationen, wir unterstehen dem Wirtschafts- und Sozialrat. Es ist keine Frage der Hierarchie, da sind wir alle gleich – aber bei atomaren Angelegenheiten, ob bei militärischer, friedlicher oder ziviler Nutzung, da liegt die Autorität bei der Organisation, die dem Sicherheitsrat untersteht .…” In “Controverses nucléaires”, Dokumentarfilm von Wladimir Tchertkoff (www.alerte-verte.com) (Zurück) (2) Pressemitteilung der IAEO, WHO, PNUD: „Tschernobyl, das wirkliche Ausmaß des Unfalls.“ (Zurück) (3) Dieses Buch, das sich mit den Folgen der Katastrophe von Tschernobyl für Gesundheit und Umwelt befasst, wird 2009 von der Akademie der Wissenschaften, New York, veröffentlicht werden. (Zurück) | ||||||||||||||||
|
| |||||||||||||||||